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Erinnern
wir uns an Franz-Josef Strauß‘ Worte im Truderinger
Festzelt am 2. Juni 1986: Der Ausstieg aus der Kerntechnik ist
der Weg von Dummköpfen und Feiglingen. ... Und: Die
nachfolgenden Generationen würden Steine auf unsere Gräber
werfen, weil wir ihnen ihre Lebenschancen verbaut haben. –
Intelligenz und Mut dieses Mannes sind ja sprichwörtlich
geworden...
Der Bundeskanzler – selbstverständlich
damals derselbe wie heute, denn unser Innovationstempo ist
bekanntlich nicht mehr konkurrenzfähig – der
Bundeskanzler also war sich schon damals sicher: Die deutsche
Atompolitik werde nicht wanken!
Recht hatte er:
Vorgestern hat der Bundeswirtschaftsminister wieder beteuert: Der
Betrieb und auch der Neubau von Kernreaktoren ist unverzichtbar
und verantwortbar!
Ich habe da noch immer Hitlers
Stimme im Ohr: Ich übernehme die Verantwortung!
Aber
der Vergleich ist unfair. Nach der nächsten Katastrophe wird
kein Politiker und keiner von deren Handlangern und Kopflangern
Selbstmord begehen. Wie üblich wird es heißen: Nach
dem damaligen Stand von Wissenschaft und Technik war mit diesem
Ereignis nicht zu rechnen. Es war also überhaupt niemand
verantwortlich!
Wer heute das Wort Verantwortung
gebraucht, tut dies meist, um sich ihr zu entziehen – wenn
auch oft nicht aus Bosheit, sondern aus Trägheit und
Dummheit. Die Anführer der Gesellschaft haben noch nicht
verstanden, daß wir dank unserem Wissen und Können
auch für das verantwortlich geworden sind, was wir
nicht wissen, ja nicht einmal ahnen!
Wie
kann das sein?
Tschernobyl ist ja nur eines der
Untergangssymptome jener globalen Beschleunigungskrise, in
die uns der technisch-wirtschaftliche Fortschritt führen
mußte. Daß wir innerhalb eines Menschenalters das
Klima der Erde zum Umkippen zu bringen drohen – daß
wir sogar noch rascher den Ozon-Schutzschild der Erde abbauen,
den sich das Leben selbst im Laufe seiner Entwicklung geschaffen
hat – daß nun jede Stunde eine bis 10 lebendige Arten
aussterben, die für ihre Entstehung Millionen Jahre
brauchten – daß wir ebenfalls etwa stündlich
eine neue chemische Verbindung „erfinden“, die vorher
auf der Erde oder gar im ganzen Universum nicht vorkam –
und daß wir viele davon möglichst schnell und
weltweit vermarkten und massenhaft freisetzen – all
das sind zur Zeit sogar noch gefährlichere,
lebensfeindlichere Aktivitäten als die Nutzung der
Atomenergie, die ja noch kaum über ihr Geburtsstadium hinaus
ist – wenn sich auch Siemens, Stoiber & Kohl
eifrig um Fortschritte bei der Zangengeburt des Monsters
bemühen.
Ich möchte Sie hier aber nicht gegen
die Mächtigen aufhetzen, sondern gegen deren geistige
Beschränktheit. Ich möchte ihnen einen Gedanken auf den
Weg mitgeben:
Die Untergangssymptome sind nicht dumme
Zufälle, sondern ein Hinweis, daß die Menschheit vor
dem Höhepunkt einer Krise steht, die nur überwindbar
sein wird, wenn eine Mehrheit das Wesen dieser Krise erkennt und
aus dieser Einsicht zu neuen Leitideen der gesellschaftlichen
Organisation findet.
Das Wesen der Krise liegt darin, daß
schnelle globale Neuerungen im Prozeß des evolutionären
Fortschritts einen selektiven Vorteil haben – jeder weiß
ja, daß das Schnelle das Langsame besiegt, und daß
die Organisation im Großen jene im Kleinen
verdrängt –‚ daß es aber unüberwindbare
Grenzen für die Größe und für die
Innovationsgeschwindigkeit gibt. Bei der Größe ist das
klar: Globaler als global kann auf der Erde nichts werden.
Und
wie ist es mit der Innovationsgeschwindigkeit? Was tun wir, wenn
eine Neuerung ein Problem schafft? Die weltweit besten Experten
lösen es rasch, nicht wahr? Und die Lösung wird sofort
weltweit übernommen. Wie dumm nur, daß Gesellschaft
und Lebenswelt so komplex sind, daß durch die Lösung
des einen wahrscheinlich zwei oder mehrere neue
Probleme entstanden sind – und daß die neuen
wahrscheinlich noch etwas weiter ausgreifen und nach noch
schnellerer Lösung schreien! Also an die Arbeit,
Experten! Und morgen haben wir schon vier neue Probleme –
noch ein bißchen größer, und
drängender – natürlich.
Der
kritische Punkt ist erreicht, wenn die Geschwindigkeit des
Problemwachstums ausreicht, um der Mehrheit der Menschen das
Wesen dieser Krise im Laufe ihres Lebens bewußt werden zu
lassen. Es ist soweit! Bald verstehen es alle – mal
abgesehen von Kanzlerrunden, Bundespräsidenten,
Stromversorgern, Autoherstellern und dergleichen.
Also
klar, worum es geht: Die menschliche Gesellschaft muß sich
so organisieren, daß sie gar keine Chance hat, große
Katastrophen hervorzurufen. Also derart, daß schnelle
globale Entwicklungen verfassungsmäßig behindert sind
– außer dem schnellstmöglichen unterlassen
des als falsch erkannten, natürlich! Bei vielen unserer
dümmsten und katastrophenträchtigsten Unternehmungen
würde bekanntlich schon ein Zwang zur privatrechtlichen
Versicherung möglicher späterer Folgen ausreichen. Der
Untergang Kiews oder Münchens wäre nicht
versicherbar!
Alles hoffnungslos? Aber warum
denn, wenn die Mehrheit es einmal verstanden hätte?
Die Mehrheit bestimmt doch die Politik!
Ach so –
die Mehrheit kann ja nicht verstehen, worum es geht. Sie
erfährt es kaum, denn die Medien haben meist mehr
Interesse an Vernebelung als an Aufklärung. Wir erleben ja
gerade in diesen Tagen, wie sie im Verein mit den sogenannten
Arbeitgebern helfen, durch ein Trommelfeuer von Schlagworten die
sozialen Errungenschaften der letzten hundert Jahre sturmreif zu
schießen.
– Wir sollen wieder länger
arbeiten! Merkwürdig, nicht wahr? Einige hundert Jahre lang
haben wir mit viel Erfindungsreichtum das Ziel verfolgt, daß
Menschen nicht mehr so viel arbeiten müssen. Ergebnis: Wir
schreien nach Arbeitsplätzen! Können wir denn nicht
selbst an dem arbeiten, was nötig wäre? Aber nein, es
fehlen die Arbeitgeber!
– Wir hatten zum
ersten Mal fünfzig Jahre lang keinen Krieg im Land, und
haben angeblich dauernd für wachsenden Wohlstand gearbeitet
– und nun können wir uns keine Kindergärten und
keine Altenpflege leisten, wir müssen die Renten kürzen
und die Universitäten wieder von den Studenten finanzieren
lassen. Warum nur?
– Es ist eben kein Geld
da, heißt es. Ja – wo ist es denn eigentlich?
Noch nie gab es so große Vermögen! Und von der
durchschnittlichen Miete fließen z.B. etwa drei Viertel als
Zinsanteil ins weitere Wachstum eben dieser Vermögen. Ja,
wann immer jemand etwas für sich oder andere tut, wachsen
dabei Konten von völlig Unbeteiligten. Und nicht nur Siemens
verkündet stolz Rekordgewinne. Warum wird die Gesellschaft
als Ganzes dabei ärmer?
– Die globale
Konkurrenz zwingt uns zu immer größeren
Anstrengungen, heißt es. Wenn wir in diesem Wettlauf nicht
vorn sind, gehen wir unter, mahnt uns auch der Bundespräsident
immer wieder. Merkwürdig! Was ist denn das Ziel des
Wettlaufs? Es gibt keines? Nur schneller muß
er werden? Merkwürdig! Das ist doch das Wesen von
Instabilitäten! Sie enden im Aufprall...
Aber
nein! – diese Instabilität ist ja nicht
naturgesetzlich erzwungen. Ihre Macht ist durch falsche
wirtschaftliche Ideen organisiert, ist also gewissermaßen
eine Geisteskrankheit. Muß es denn etwa so sein, daß
eine Minderheit sich die Lebensgrundlagen der Mehrheit anzueignen
vermag – und daß dann diese Mehrheit nur noch am
Wachstum dieses Vermögens arbeiten kann? Könnte man
nicht den Besitz von Lebensgrundlagen anderer Menschen
verfassungsmäßig ausschließen - wie es schon bei
früheren Formen der Sklaverei gelungen ist?
Falsche
Ideen müssen nicht in Absturz und Aufprall
untergehen. Sie können schon vorher in den Köpfen
zusammenbrechen – wenn die Mehrheit noch rechtzeitig auf
die wesentlichen Fragen stößt und dadurch in geistige
Unruhe gerät. Dann gibt es auch eine Chance, Antworten zu
finden, die lebensfähigere Ideen liefern. Wollen wir daran
arbeiten?
Beim sogenannten Energieproblem ist es
besonders leicht, konkret zu werden: Unser Energieverbrauch
besteht heute überwiegend in Verschwendung. Sparen
bringt hier also bei richtiger Verteilung der Lasten und Vorteile
zumindest für die ersten paar Jahre niemandem Verlust,
sondern jedem Gewinn. Später freilich wird die Arbeit
an intelligenteren, zukunftsverträglichen Formen von Angebot
und Nutzung zu einem wesentlichen Teil der sogenannten Wirtschaft
werden. Da gibt‘s noch viel zu tun! Wichtigstes
Wachstumsziel muß zunächst werden, daß wir
künftig jedes Jahr drei Prozent weniger verbrauchen als im
Jahr zuvor. So werden wir in 50 Jahren bei einem Fünftel
unseres heutigen Verbrauchs angelangt sein. Viele vernünftige
Studien legen nahe, daß dies reichen wird.
Als
mittlere Leistung ausgedrückt ist dann unser Verbrauch an
Primärenergie etwa 1 Kilowatt pro Person. Da sich freilich
zugleich die arme Mehrheit der Erdbewohner von unten her einem
ähnlichen Pro-Kopf-Verbrauch nähern soll, und die
Menschheit bis dahin noch immer anwachsen wird, ist der
Weltenergieverbrauch dann trotz der genannten Reduktionsstrategie
noch derselbe wie heute! Er darf also nicht durch
Verbrennung fossiler Energie gedeckt werden, da sonst die
Klimaänderung unaufhaltsam wäre. Ebensowenig aber durch
Kernenergie! Sonst müßte von morgen an fünfzig
Jahre lang jeden Tag irgendwo in der Welt ein neuer Großreaktor
ans Netz gehen – und zwar demnächst lauter Schnelle
Brüter! Die Verwüstung der Erde hierdurch, wie auch
durch den Uranabbau, durch hunderte von
Wiederaufbereitungsanlagen und Endlagern und durch die vielen
Transporte – das muß ich wohl nicht ausmalen. Schon
sich so etwas zuzutrauen ist Verbrechen oder Irrsinn!
Den
angeblich so bedrohlichen “technologischen Fadenriß“
müssen wir nicht fürchten. Im Gegenteil: Bei allen als
katastrophenträchtig erwiesenen Technologien müssen wir
gerade diesen gezielt ansteuern. Wir wollen uns nicht die Option
des Irrsinns offenhalten, nur weil es stets hie und da Irre gibt.
Der “Energiemix“ unserer Urenkel wird einst fast
ausschließlich aus den vielfältigen bis dahin
entwickelten Formen der Nutzung von Sonnenenergie bestehen.
Wie
nützlich hierfür eine Energiesteuer sein könnte,
zeigt ein einfaches Beispiel: Stellen wir uns doch einmal vor,
wir wollten nicht mehr Arbeit, Essen, Handel und Dienstleistungen
besteuern, sondern statt dessen die als schädlich erkannte
Energieverschwendung. Vereinfachen wir die Rechnung und nehmen
an, es gäbe nur noch diese einzige Art von
“Minderwertsteuer“. Alle anderen Steuern -
Einkommensteuer, Mehrwertsteuer, Gewerbesteuer und so weiter –
all das wäre abgeschafft und durch eine Steuer auf
Primärenergie ersetzt. Wie hoch wäre diese dann?
Rechnen Sie es nach: Es wären 20 Pfennig pro Kilowattstunde
Primärenergie!
Ich schlage nicht vor, so etwas über
Nacht Gesetz werden zu lassen. Aber das Beispiel zeigt die
Hebelkraft einer Energiesteuer zur Steuerung gesellschaftlicher
Entwicklungen. Wir sind also den sogenannten Sachzwängen
nicht hilflos ausgeliefert. – Daß außer dem
Steuerrecht auch wesentliche Züge des Geld- und
Eigentumsrechts zu ändern wären, ist klar – aber
auch dies kann ja eine qualifizierte Mehrheit in der Demokratie
erreichen.
Natürlich müßten wir uns dann
demnächst immer weniger von etwa noch begriffsstutzigeren
Nachbarn verführen oder zwingen lassen, ihren angeblich
billigen Atomstrom zu kaufen oder ihre fossilen Lagerstätten
auszubeuten. Und wir sind auch keineswegs darauf angewiesen,
anderen Ländern Dinge zu liefern, die man sich dort
ebensogut selbst schaffen könnte. Der Welthandel wird
beträchtlich schrumpfen, und eine ganz andere Art von
Konkurrenz wird sich entwickeln: Wer schafft es, seine
Kinder glücklicher, sein Zuhause immer schöner und
lebenswerter zu machen, ohne andere Menschen oder die Natur
ausbeuten zu müssen?
Da wären wir also doch
wieder in einem Wettlauf ohne Ziel, denn ein Ende solcher
Bemühungen wäre wohl kaum abzusehen, nicht wahr?
Sollten wir uns nicht darum bemühen, daß unser Land
einer der führenden Standorte gesellschaftlicher und
ökologischer Vernunft wird, und in der Freiheit für
seelische und geistige Entwicklung seiner Bürger ein
Beispiel für andere, die nicht ganz so schnell vorankommen?
Aber sehen Sie – damit wären Konkurrenz und Wettlauf
endlich an jene Front verlagert, wo sie längst
hingehören – an jene Front nämlich, der
uns die geistigen Führer der Menschheit seit Jahrtausenden
näherzubringen versuchten.
Also, laufen wir los!
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