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Wir haben die
Biosphäre, Wurzel auch aller «höheren»
menschlichen Fähigkeiten, an den Rand des Untergangs
gebracht. Sogar der Strahlungshaushalt der Erde, der vom
Lebendigen über lange Zeiträume langsam geregelt wurde,
ändert sich nun innerhalb eines Menschenalters. Der
Schöpfungsprozess ist in eine globale
Beschleunigungskrise geraten. Im Prinzip evolutionärer
Selbstorganisation ist logisch begründet: Organisation im
Großen und höhere Innovationsgeschwindigkeit haben so
lange einen Selektionsvorteil, bis praktisch alle Versuche sich
als Irrtümer erweisen. Zwar wenden sich immer mehr
Intelligenz und Kreativität dem Erkennen und der Reparatur
von Fehlern zu, doch muss schliesslich fast jede Problemlösung
mehrere neue Probleme schaffen, die noch weiter ausgreifen und
noch drängender sind, also noch eiligerer Lösung
bedürfen. So läuft die Problemerzeugung der -lösung
davon, bis räumlich und zeitlich kritische Skalen erreicht
sind: Es kommt zur Globalisierung von Leitideen und
Ordnungsstrukturen – zu drastischer Weltverbesserung,
bevor auch nur eine Menschengeneration beim Heranwachsen
die Lebensfähigkeit neuer Ideen hat testen können, ganz
zu schweigen von der evolutionären Anpassung der Biosphäre
und des Klimas. Dass wir nicht rasch genug über die Erde
hinauswachsen können, um unsere Probleme zu lösen, ist
offensichtlich; dass unsere Generationsdauer eine kritische
Schranke für die Geschwindigkeit der Wertschöpfung
liefert, ahnt zwar, wer schon am Ende der Jugend die Welt der
Kindheit nicht mehr wiederfindet, doch rational verstehen lässt
sich dies erst im Rahmen einer Systemtheorie von Gott und
Teufel.
Was ist denn der Lauf der Welt? Die
raumzeitliche materielle Wirklichkeit, zu der auch unsere
Hirnaktivität gehört, zappelt durch zufällige
Schwankungen im Raum der Möglichkeiten. Dieses Reich
der Ideen, das auch geistige Welt, Himmel,
Jenseits oder Ewigkeit genannt wird, enthält
unendlich viele Gestalten, unter denen der Schöpfungsprozess
immer attraktivere ertasten muss. Attraktoren machen es
der Wirklichkeit schwer, ihren Einzugsbereich zu verlassen, wenn
diese durch ihr Zappeln einmal hineingeraten ist. Und dennoch
führt gerade dieses Prinzip «aufwärts» zu
immer höherer Komplexität, weil (letztlich dank dem
unwahrscheinlich geordneten Ursprung unseres Universums) die
Wirklichkeit beim Weitertasten stets Chancen hat, zyklische
Gestalten zu finden, in denen alles besser, noch
überlebensfähiger zusammenpasst als vorher, und die
genügend Zeit für ein Weitertasten bieten, bei dem
Irrtümer nicht Absturz bedeuten. Deshalb bedeutet
evolutionärer Fortschritt nicht das Verlassen der über
lange Zeiträume auf tiefem Niveau verwirklichten
bewährten Gestalten, sondern vielmehr die noch bessere
Organisation kooperativer Sicherung gegen zerstörerische
innere und äußere Schwankungen. Neue, «höhere»
Gestalten benutzen daher immer schwächere Wechselwirkungen
zwischen «niedrigen» – so viel schwächer
als jene in deren innerer Organisation –, dass das
Innenleben der kooperierenden Partner nicht wesentlich gestört
wird. Atome bestehen aus Elementarteilchen, Moleküle aus
Atomen, Zellen aus Molekülen, Organismen aus Zellen, Arten
und Gesellschaften aus Individuen: Komplexität bedeutet ein
raffiniertes Gleichgewicht zwischen Versklavung und
Befreiung.
Das höchste erreichte Komplexitätsniveau
liegt in der als Seele und Geist erfahrenen Hirnaktivität
von Einzelmenschen im Rahmen einer Kultur. An dieser Front der
Evolution sind unvorstellbare weitere Fortschritte möglich,
doch nur, wenn nicht übergeordnete und untergeordnete
Strukturprinzipien verlassen werden, bevor ein Mensch
herangereift ist. Auch an der Front muss Zeit für Bewährung
sein; und Bewährung bedeutet nun einmal nichts anderes als
wiederholtes Durchlaufen von Zyklen. (Kein Wunder, dass die
Wurzel des Wortes Ethik Gewohnheit bedeutet.) Zu schnelles
Voranstürmen im Raum der Möglichkeiten, gar wesentliche
globale Innovation innerhalb der Generationszeit der Anführer
kann nicht «aufwärts» führen. Erst mit dem
Menschen wurden solche Entwicklungen überhaupt möglich,
und nicht ohne Grund lässt der Schöpfungsmythos unserer
Ahnen Lucifer, den Lichtbringer, am sechsten Tag
als Diabolos, als Durcheinanderwerfer, erscheinen.
Der Schöpfungsprozess ist nicht zu Ende, doch setzte er sich
nun vor allem im Zappeln des Menschen fort, das schliesslich zum
Ringen um die Entscheidung zwischen Aufstieg und Absturz wurde.
Nun, im Höhepunkt der globalen Beschleunigungskrise, wird
diese Entscheidung in unserem und unserer Kinder Bewusstsein
fallen und innerhalb eines Menschenalters global organisiert
werden: Krisis heißt Entscheidung.
Den
notwendigen Organisationsprinzipien ist das Denken Einzelner und
kleiner Gruppen seit Jahrtausenden nahe gekommen, doch erst im
Höhepunkt der Krise können sie global erreicht und
verfassungsmäßig gesichert werden. Die rettende
Einsicht ins Wesen des Schöpfungsprozesses ist so einfacher
Natur, dass angesichts der Untergangssymptome die Aufklärung
der Mehrheit durch geistige Bemühung einer Minderheit
wahrscheinlich wird. Die scheinbar unwiderstehliche Macht heute
herrschender Ideen bricht dann zusammen. Der naheliegende
Einwand, dass Propheten fast immer erfolglos predigten, trifft
hier nicht zu. Bevor weltweit die kritische
Innovationsgeschwindigkeit überschritten wurde, mussten zwar
lebensfähigere Ideen in Konkurrenz mit den
fortschrittlicheren verdrängt werden. Wenn aber das
Große und Schnelle durch weiteres Verfolgen
seiner mächtigsten Leitideen – also durch Vernichtung,
Verdrängung oder Ausbeutung von Menschen und Biosphäre
– den Untergangssymptomen nicht mehr entfliehen kann, dann
wird eine vernünftigere Selbstorganisation der menschlichen
Freiheit wahrscheinlich. So werden die nächsten zwei
Generationen auf demokratischem Wege die logischen
Voraussetzungen wirklicher Wertschöpfung herstellen und
verfassungsmäßig sichern können.
Dass wir
nun politisch, wirtschaftlich und technisch global die
Vielfalt organisieren und in Eile zur Gemächlichkeit
finden müssen, bedeutet nicht etwa einen inneren
Widerspruch. Die Instabilität definiert selbst ihren
kritischen Zeitrahmen. Nur vor dem Aufprall kann die
Umlenkung des globalen Schwunges in vielfältige lebensfähige
Strukturen gelingen – mittels Kräften, die durch den
Fortschritt der Instabilität verstärkt wurden, bis sie
die alten Antriebskräfte überwinden: die Macht der
Waffen und des Kapitals – und die Macht des Aberglaubens,
dass Neues wahrscheinlich gut sei, wenn es nur gutem Willen
entspringt. Ein Umkippen im Bewusstsein einer ganzen Generation
steht bevor. An der neuen Front evolutionärer
Selbstorganisation werden andere Strukturprinzipien die Vorteile
des Grossen und Schnellen erlangen. Immer stärkeres
Leiden an den Widersprüchen, heftigeres Zappeln an immer
heisser werdenden Reibungsstellen der Gesellschaft wird die
Mehrheit in den Einzugsbereich lebensfähigerer Ideen im Raum
der Möglichkeiten bringen.
Es gibt nicht eine
natürliche Wirtschaftsordnung. Alles Wirkliche, ja alles
Mögliche ist natürlich – auch der Untergang wäre
es, wenn es denn nicht anders ginge. Aber natürlich geht es
anders! Bald wissen es alle: Wenn «Fortschritt» und
«Wachstum» immer mehr Menschen davon abhängig
machen, dass mit immer mehr Materie und Energie Schund
produziert, der rasch als Schund erkannt, weggeworfen und ständig
rascher durch neuen Schund ersetzt wird, dann ist dies der
Fortschritt einer Krankheit! Sie ist aber nicht auf dem
«altmodischen» biologischen Niveau organisiert,
sondern im Bewusstsein. Nichts spricht dafür, dass sie hier
nicht auch heilbar wäre.
Einsicht in das Wesen der
Krise wird uns eine lebensfähigere politisch-wirtschaftliche
Ordnung finden lassen als die bisherige, welche die Menschen dazu
befreit und dazu zwingt, so zu leben, dass nicht andere darunter
leiden. Die Abschaffung der Sklaverei ist erst dann gelungen,
wenn es unmöglich ist oder sich nicht lohnt, Eigentum an
wesentlichen Lebensgrundlagen anderer zu erwerben. Statt von
Chancengleichheit zu faseln, müssen wir dafür sorgen,
dass niemand die Chance hat, anderen ihre Chancen wegzunehmen.
Was lange als Utopie erscheinen musste, wird im Höhepunkt
der Krise als selbstverständliche Strategie zu deren
Überwindung einleuchten: Aufgabe der Menschen und der Völker
ist die gemeinsame verfassungsmässige Sicherung gegen
imperialistische und egoistische Machtansprüche, also die
Organisation des Friedens und die Befreiung der
Marktwirtschaft vom Kapitalismus. Diese Arbeit beginnt beim
Geld- und Bodenrecht. Letztlich geht es um die Beschränkung
fast alles Grossen und Schnellen, also darum,
Voraussetzungen wirklicher Wertschöpfung gesellschaftlich zu
organisieren, die nach evolutionärer Logik, «ganz
natürlich», auf dem Weg in die Krise verloren gehen
mussten, und die nun dennoch an der geschichtlich neuen Front des
Bewusstseins wieder erreichbar werden. Die Mehrheit wird sich
dieser Aufgabe erst zuwenden, wenn klarer wird, dass dabei fast
alle gewinnen. In der «neuen Weltordnung» werden der
Einzelne und die Völker nicht mehr mit dem Kampf ums
biologische, seelische oder kulturelle Überleben beschäftigt
sein, weil vielfältige Freiräume für «höhere»
evolutionäre Konkurrenz entstehen, in der weder Menschen
noch die Biosphäre ausgebeutet werden.
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