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Zum Gedenken an Peter Kafka
29.6.1933 – 23.12.2000




Ein Nachruf von Renate Börger




Peter Kafka war ein Visionär im besten Sinne – er schaute leidenschaftlich und zugleich mit sehr viel Abstand auf das, was die Menschheit treibt und wovon sie getrieben wird. Als Astrophysiker hatte er eine weite Schau auf das Leben und betrachtete die Evolution und ihre Kreationen mit einem liebevollen Blick. Den Menschen sah er darin als bewusstseinsbegabtes suchendes Wesen, das den Auftrag des Bewusstseins allerdings erst noch richtig verstehen muss! Deshalb ermunterte Kafka stets dazu, die elementaren „Kinderfragen“ zu stellen, die letztendlich dann wieder die eigentlich großen Fragen sind: Wo soll es hingehen? Wo ist unser Platz in der Evolution und wie können wir ihn als Spezies und als Individuum würdig einnehmen?

Seine Kindheit und Jugend erlebte Peter Kafka in Berlin und bei seinem Großvater, einem jüdischen, zum Katholizismus konvertierten Rechtsanwalt im Sudetenland. Während mehrere Familienangehörige in Konzentrationslagern umkamen, überlebte der Großvater den Holocaust und sorgte dafür, dass Peter Kafka nach Stationen in Prag und Karlsbad zu Verwandten in die Oberpfalz kam. Nach dem Abitur fiel es ihm nicht leicht, sich für ein Studienfach zu entscheiden. Er wollte mit dem Leichtesten anfangen und entschied sich für die theoretische Physik, um erst einmal „die einfachen Dinge zu verstehen“.

Mitte der 1960er Jahre wurde Kafka wissenschaftlicher Mitarbeiter am damals von Werner Heisenberg geleiteten Max-Planck-Institut für Physik und Astro-physik in Garching bei München. Dort gehörte er in den 70er Jahren zu den wissenschaftlichen Dissidenten der Kernenergie. 1982 erschienen im Piper Verlag die „Streitbriefe über Kernenergie“ – ein Briefwechsel zwischen ihm als Kernkraftgegner und Heinz Maier-Leibnitz, dem damaligen Leiter des Deutschen Forschungszentrums, der die Kernenergie befürwortete. Gemeinsam mit Hans-Peter Dürr, Carl Amery und anderen prägte Kafka die Friedens- und Ökologie-bewegung in München. Bis 1989 stand er beim Max-Planck-Institut inmitten des Wissenschaftsbetriebs und blieb dennoch auch immer mit einem Bein als kritischer Beobachter außen vor. Das „vom-Rand-aus-Beobachten“ – mal scharfzüngig, mal mit mildem Lächeln – war seine Lieblingsposition. Kafka gehörte zu den wenigen Wissenschaftlern, die öffentlichen Mut zeigten und streitbare Positionen bezogen: „Die Sonne reicht! Es gibt keine Energiekrise, sondern eine Krise des menschlichen Verstandes und ein Krise der Macht-interessen!“






Als ein Naturwissenschaftler stritt Peter Kafka für eine Selbstbegrenzung im technischen Fortschritt und für eine bewusste Verlangsamung im Tasten und Suchen nach größerer Komplexität. Doch das ist für die heutige Wissenschaft eine Zumutung, die sie weit von sich weist. Sie hat die Technikgläubigkeit im ideologischen Gepäck und das anlage-suchende Kapital im Nacken. So entsteht die brisante Beschleunigungsmanie; sie konzentriert Kapital in den Händen weniger Konzerne, Wissenschaft in einseitig ausgerichteten Labors und sie sichert durch Patent- und Eigentumsrechte ihre Verwertungsinteressen gegen die soziale und gesundheitliche Gesamtheit. Im Gegensatz dazu hatte Peter Kafka einen tiefen Respekt vor den Mysterien des Lebens, seinen Zufällen, seinem System und seinen klugen, wenn auch kaum verstandenen Methoden.

Seit den späten 1980er Jahren entdeckte Peter Kafka durch Dieter Suhr die Gelddynamik als politisches System-problem und es gelang ihm, kompliziert erscheinende Zusammenhänge verstehbar und Perspektiven sichtbar zu machen. Auf ihn geht der Begriff der „Beschleunigungskrise“ zurück, die den Kapitalismus – vom Primat der Rendite getrieben – in Konzentrationsprozesse zwingt, die das Schnelle und Große bevorzugen und das wuchernde Wirtschafts- und Vermögenswachstum bewirken. Als Systemtheoretiker sah Kafka vor allem das fundamentale Schöpfungsprinzip verfehlt, dass Komplexität und Entwicklung Zeit brauchen, Zeit der Bewährung in Zusammenhängen. Gentechnischen Pfusch, Kernenergie, unverantwortliche Mobilfunk-Experimente und größenwahnsinnige Agrar-Monokulturen sah er als Verhängnis von „Einfalt in Eile“, ebenso wie den Zusammenbruch kleiner Gemeinschaften und sozialer Komplexität. Gleichwohl glaubte Peter Kafka idealistisch an die sozialen Gestaltungskräfte des Menschen. Er hielt uns für gut genug, das geistige Abenteuer unserer Spezies zu bestehen und die neuen Freiheiten des Großhirns dazu zu gebrauchen, den Gang der Schöpfungsgeschichte mit Bewusstsein zu unterstützen statt zu stören und durch Innovations- und Größenwahn so durcheinander zu bringen, dass wir eines Tages von der Evolution hinausgeworfen werden. Als Therapie gegen die verhängnisvolle „Einfalt in Eile“ postulierte Kafka in seinem 1994 im Hanser Verlag erschienenen Buch „Gegen den Untergang – Schöpfungsprinzip und globale Beschleunigungskrise“ das Prinzip der „Gemächlichkeit und Vielfalt“. Er suchte nach dem, was den Menschen geistig-kulturell voranbringt, und wappnete gegen die Vorstellung, die Schöpfung und der Mensch seien zu verbessern, indem man sie manipuliert. Den Menschen hielt er auch mit allen seinen Schwächen für gut genug, sofern kluge Strukturen sein überwiegend kooperatives Wesen unterstützen. In Anlehnung an den Begriff der „strukturellen Nichtangriffsfähigkeit“ suchte Peter Kafka eine verfassungs-rechtlich geschützte „strukturelle Nichtausbeutungsfähigkeit“ jenseits moralischer Gesetze, schlicht als Konsequenz von Einsichten in systemtheoretische Zusammenhänge. Die Marktwirtschaft müsse „vom Kapitalismus befreit“ werden. Kafka mochte die Ideen liberaler Marktfreiheit und kreativer Konkurrenz und suchte ein System von Arbeit, Eigentum und Geld ohne leistungslose Einkommen, ohne Wucherungen, ohne aneignende Zugriffsmöglichkeiten auf die Lebens-grundlagen anderer. Einen monopolfreien Wettbewerb konnte er sich in natürlichen Grenzen und geistigen Freiräumen äußerst attraktiv vorstellen, ja er wünschte sich mehr Wettbewerb an den wirklich interessanten Fronten des siebten Schöpfungstags: in der seelisch-geistigen Entwicklung und in der Selbstorganisation unserer Freiheit: „Natürlich wird es Konkurrenz geben! Im Bauen noch schönerer Häuser und Kathedralen, im Finden wirklich kluger Techniken, im sinnvollen Forschen, im Lieben unserer Kinder, beim Malen und Musizieren“.

Immer wieder gern zitierte Peter Kafka einen Satz von Angelus Silesius: „Ich bin, ich weiß nicht wer. Ich komme, ich weiß nicht woher. Ich gehe, ich weiß nicht wohin. Mich wundert´s, dass ich so fröhlich bin.“ Dieser Satz beschreibt seine ganze Lebenseinstellung und passt auch zum Ende seines Lebens. Am 23. Dezember 2000 ist Peter Kafka gestorben. Zehn Wochen hatte er Zeit, sich auf seinen Tod vorzubereiten. Anfang Oktober war ein bösartiger Gehirn-tumor diagnostiziert worden. Am 14. Oktober hielt er daraufhin einen feierlichen Abschiedsvortrag, nachdem er zuvor noch mehrere Male mit leidenschaftlich engagierten Reden mitgeholfen hatte, die politischen Samstagsgebete in München zu etablieren. Doch bis zu seinem Lebensende versammelte er in seinem Haus der offenen Tür FreundInnen um sich, und noch am Sterbebett führte er inspirierende Gespräche über Gott und die Welt.

Drei Tage vor seinem Tod wurde ihm eine späte Ehrung durch die Stadt München zuteil, die ihm die Auszeichnung „München leuchtet“ zuerkannte. Als ihm die silberne Medaille daheim in seinem Sterbezimmer überreicht wurde, waren Freunde und Familie versammelt und erlebten, wie Peter Kafka noch einmal hellwach wurde, selig lächelte, noch einmal treffende Worte fand, dann jedem die Hand gab und sich endgültig verabschiedete, während wir für ihn das Lied „He‘s got the whole world in his hand“ sangen. Drei Tage später verließ Peter Kafka diese Welt, im Arm seiner Freundin Kristin Elsen, die ihn gemeinsam mit seinen Kindern Emely und Benny in den Wochen seines Sterbens begleitet hatte. Auf seine Todesanzeige ließ er seinen Ausspruch drucken: „Leisten Sie Widerstand! Schämen Sie sich nicht, über Dinge mitzureden, die Sie nicht ganz verstehen! Alles Wesentliche ist nicht verstanden“.

Peter Kafka hat uns vorgelebt, wie man dem Tod ins Angesicht schauen kann – keineswegs heroisch, sondern gemütvoll ergriffen vom Werden und Vergehen, ohne Scheu, sich dabei in aller Öffentlichkeit zu zeigen. Angst habe er nicht, denn dazu fühle er sich im Kosmos zu sehr aufgehoben, sagte er in einem seiner letzten aufgezeichneten Gespräche: „Natürlich ist da die Trauer, aber das ist etwas anderes, ist nicht Verzweiflung oder Angst, nichts Negatives oder Zerstörerisches, sondern daraus wächst an einer anderen Stelle auch wieder Kraft. Ich hatte schon als Kind nahe am Wasser gebaut, hatte weinen müssen, wenn ich überraschend schöne Musik hörte. Es lässt mich nun weinen, wenn ich an meine Kinder denke und daran, sie nicht mehr erleben zu können. Aber dieser Schmerz ist mehr biologischer Art und das Weinen ist schön, gut und gesund, keine Qual. Das Weinen geht nach einer kleinen Erschöpfung wieder in Fröhlichkeit über, weil ich mich in dem unausdrückbar Großen und Ganzen geborgen fühle. Man sieht doch, wie wunderbar geborgen wir in dieser Welt sind. Angst und Kummer kommen eher angesichts der globalen Beschleunigungskrise auf“.

In seinen Büchern und Aufsätzen hinterlässt uns Peter Kafka einen reichhaltigen Fundus an Gedanken. Unvergesslich wird uns seine inspirierende Geisteshaltung sein, und im Herzen bewahren wir seine politische Botschaft von den gesellschaftlichen Gestaltungskräften des Menschen für einen siebten Schöpfungstag, an dem wir nicht mehr dem Geld nachjagen, sondern kulturell schöpferisch werden.












Text: veröffentlicht in der Zeitschrift für Sozialökonomie Nr. 130 / Sept. 2001
Jetzt auch als PDF-Faksimile erhältlich unter



www.sozialoekonomie-online.de/archiv/zfsoe-online-archiv-folge-128-135.html



Siehe auch: sozialoekonomie.info



Die Fotos auf dieser Seite wurden freundlicherweise von Benjamin Kafka zur Verfügung gestellt.



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