Einfalt und Vielfalt. Über das Wesen der Energie- und Wachstumskrise
Eine Zusammenfassung (1978)
Diese Zusammenfassung, verfasst von Peter Kafka, bezieht sich auf den Vortrag Kernfragen: Wirtschaftswachstum und Energiepolitik, der in unterschiedlichen Variationen und unter unterschiedlichen Titeln an verschiedenen Stellen gehalten bzw. veröffentlicht wurde.

Es wird versucht, das wissenschaftliche Weltbild, die Ehrfurcht vor dem Leben und die emotionalen Grundlagen der „alternativen Bewegung“ miteinander zu verknüpfen. Wer sich fragt, welche Werte heute mit Hilfe des Energieverbrauchs geschaffen werden, der erkennt beim Nachdenken über den eigenen Wertbegriff schnell, dass man von einer „Energiekrise“ nicht wegen eines Mangels an Energie sprechen sollte, sondern vielmehr wegen ihres Überangebots und ihrer Verschwendung. Ein Blick auf die Entstehung und Entwicklung der Strukturen in der Welt lehrt, dass das Wertvolle an höheren Strukturen nicht ihre materielle Substanz oder die erstaunlich einfachen Naturgesetze sind, sondern ihre Komplexität. Diese kann aber nur auf dem Wege der Evolution, also durch Versuch und Irrtum in Vielfalt und Gemächlichkeit gefördert werden. Das jetzige Verhalten der Industriegesellschaft stellt eine Instabilität im Evolutionsprozess dar und zeigt viele Analogien zum Krebsphänomen. Die krebsige Entartung des homo faber wird vorangetrieben durch den Aberglauben an den technischen Fortschritt.

Diesem Aberglauben zufolge ist der Mensch fähig, die weitere Entwicklung selbst planend in die Hand zu nehmen und durch Einsatz von immer mehr Energie immer mehr Materie zu „organisieren“. Die jetzt einsetzende Neue Aufklärung, einer der Entwicklungsschritte zum
homo sapiens, wird diesen Aberglauben überwinden, indem sie die Einsicht verbreitet, dass in Eile und planerischer Einfalt keine Werte geschaffen werden können, sondern nur in Vielfalt und Gemächlichkeit. Diese Einsicht beruht letztens Endes auf dem denkbar einfachsten mathematischen Begriff: dem Abzählen von Möglichkeiten – oder vielmehr der Erkenntnis, dass diese Anzahl zu groß zum Abzählen ist. Deshalb können wir in Eile nur desorganisieren, nämlich unsere biologischen und kulturellen Grundlagen zerstören.

Daraus ergibt sich sofort, dass zum Beispiel die bisherige hemmungslose Verbreitung der vom Menschen geschaffenen Chemikalien und langlebigen radioaktiven Elemente nicht mit weiterer Evolution verträglich ist. Unmittelbare Folge dieser Einsicht ist ferner die Abkehr von der Wachstumsideologie, die ja zur Beurteilung von Werten im fast unendlich hochdimensionalen Raum der komplexen Strukturen nur eine „halbe Dimension“ benutzt, also das Maximum an Einfalt, nämlich das Bruttosozialprodukt, einen Wertmaßstab ähnlich dem der Krebszelle.

Wesentliche Aufgabe der Wissenschaft wird es sein, die „Gesetze der Evolution“ zu verstehen und die Randbedingungen zu formulieren, denen sich alle globalen menschlichen Aktivitäten unterordnen müssen. Es zeigt sich, dass unsere unbestreitbare Verantwortung für den Fortgang der Evolution nicht bedeutet, dass wir global unsere Zukunft planen müssten. Im Gegenteil: Wir müssen möglichst dezentralisierte Lebensformen der Menschheit anstreben, die zudem im Vergleich zur menschlichen Lebensdauer nur langsam veränderlich sein dürfen. Wie große Anstrengungen dies auch erfordern mag, wir müssen aus der Instabilität, die uns ergriffen hat, heraus: müssen alle Kletterkunst anwenden, um vom immer steiler abstürzenden „harten Weg“ zentralistischer Technokratie herunterzukommen und den „sanften Weg“ der Evolution in Vielfalt und Gemächlichkeit zu bauen. Die drängenden Probleme der Menschheit sind nicht durch Einsatz von mehr Energie lösbar, sondern nur durch mehr Vernunft.