M. LANGER: Unser Gast in dieser Ausgabe der Zwischentöne, die heute live aus München kommen, heißt Peter Kafka. Er ist Physiker, Astrophysiker, um genau zu sein – manche nennen ihn auch einen Ökologen, für wieder andere ist er vielmehr ein Wissenschafts-, Fortschritts- und Gesellschaftskritiker. Er hat bis zu seiner Pensionierung im vergangenen Jahr 33 Jahre lang im Max-Planck-Institut für Physik und Astrophysik in Garching bei München gearbeitet und sich dort mit Fragen der Kosmologie beschäftigt. Von den vielen Schriften, die er veröffentlicht hat, möchte ich hier nur, in gebotener Kürze, ein Buch nennen, sein letztes Buch, das folgenden Titel trägt:
Gegen den Untergang. Schöpfungsprinzip und globale Beschleunigungskrise.
Dieser Titel hat durchaus was programmatisches und deutet es schon an: Peter Kafka ist jemand, der nicht wie der Schuster bei seinem Leisten bleibt, sondern er gelangte von der Astrophysik bis zur Kapitalismuskritik. Wie es dazu kam, was es damit auf sich hat, das werden wir in den kommenden anderthalb Stunden neben vielem anderen erfahren, und damit – herzlich willkommen, Peter Kafka, guten Tag!
P. KAFKA: Guten Tag – oder: Grüß Gott müßte ich sagen, weil wir in München sind!
M. LANGER: Was sind Sie denn eigentlich?
P. KAFKA: Ja, das muß ich sagen, die Frage hab ich mir eigentlich nie gestellt, weil ich immer wußte, daß ich ich selber bin. Aber daß mich die Leute einen Ökologen nennen, gelegentlich, das hat eben damit zu tun, daß es für das, was ich tue, eigentlich gar kein Wort mehr gibt, nämlich: über alles nachdenken, und mit dem, was man begriffen hat, versuchen, über alles sich ein Bild zu machen. Heute ist eben die Welt zerfallen in lauter Spezialwissenschaften, und wer über seinen Tellerrand hinausguckt, gilt gleich als... ja, das ist eine Übertretung, das darf man eigentlich nicht. Ökologie ist ja eigentlich die Wissenschaft, die biologische Wissenschaft, die sich damit beschäftigt, wie die verschiedenen Arten untereinander und mit ihrer Umwelt zusammenhängen. Wenn man den Menschen nun nur als lebendige Art nehmen würde und da mit hineinzieht, dann könnte man sagen, daß das, was ich tue, Ökologie ist. Aber der Mensch ist nun eben doch auf eine Weise über die üblichen biologischen Zusammenhänge hinausgeraten, er bestimmt ja heute letztlich alle Zusammenhänge zwischen lebendigen Arten bis hin zu den Zusammenhängen mit dem irdischen Klima und allem, das heißt: wir gestalten die ganze Erde. Und darüber nachzudenken, das traut sich kaum jemand zu, dafür gibt es keine wirkliche Wissenschaft, und wer das tut, weiß ich auch nicht. Ich meine, nennen Sie mich einen Philosophen oder einen Denker oder... ich weiß es auch nicht.
M. LANGER: Auch noch einen Philosophen?! Und trotz dieser Spezialisierung
in die verschiedenen Fächer spricht man aber auch von
Globalisierung, vielleicht kommen wir dazu später noch. Herr Kafka, Sie haben 1965 im Max-Planck-Institut angefangen zu arbeiten, und da müßten Sie, wenn ich mich recht entsinne, eigentlich dem großen Physiker Werner Heisenberg begeegnet sein – oder gibt es da eine „Unschärferelation“ bei mir?
P. KAFKA: Nein. Natürlich. Ich war sogar schon vor '65 in dem Institut, weil ich dort auch schon die Diplomarbeit gemacht hatte. Also seit '63 habe ich Heisenberg gekannt, der dort damals noch Direktor war des Instituts für Physik und Astrophysik, die waren damals noch gemeinsam in Freimann am Münchner Stadtrand; erst später, '79, wurde dann die Astrophysik nach Garching verlegt, weil die Physik sich zu sehr expandiert hatte. Also, ich hab Heisenberg natürlich noch gut gekannt, und die Haupterinnerung, die ich an ihn habe, ist allerdings, daß er ja als führender deutscher Physiker sehr viel Post kriegte von allen möglichen Leuten, die glaubten, sie könnten die ganze Physik umkrempeln. Es gibt ja erstaunlich viele Menschen, intelligente Menschen, die Professor waren für dies und das, für Gynäkologie oder Ingenieurswissenschaft, wenn die dann alt werden, dann fangen sie an sich mit Fragen der Schwerkraft und des Weltalls zu beschäftigen und erfinden dann eine völlig neue Physik, Kosmologie und so weiter und schicken das dann an die Direktoren von führenden Forschungseinrichtungen. Das kriegte Heisenberg immer, und diese Sachen wanderten dann meistens auf meinen Schreibtisch weiter, weil ich der einzige im Institut war, der so ein bißchen offener war für die „Spinnereien“. Bei mir gibt es heute noch mehrere Ordner wo draufsteht „Spinner u.s.w.“, wo aber auch wirklich manchmal interessante Dinge dabei sind.
M. LANGER: Also, da ist etwas abgefallen für Sie... Ich hab schon gesagt, Sie haben sich mit Fragen der Kosmologie beschäftigt aber auch mit Neutronensternen, mit Gravitationswellen, mit Schwarzen Löchern – wir wollen hier keine Sendung fürs Fachpublikum machen, aber einiges interessiert mich daran schon, zumal Sie ja von diesem Fach dann zu weiterführenden politischen, gesellschaftlichen, sozialen Fragen gelangt sind. Wie gelingt das, von Schwarzen Löchern bis zu unserer Gesellschaft zu kommen?
P. KAFKA: Die Kosmologie ist die Wissenschaft, die der Frage nachgeht, wie die Welt im Großen beschaffen ist und was sie für eine Geschichte hat, und wir wissen heute, daß eben alles, was wir die Welt nennen, ursprünglich eins war, aus einem gemeinsamen Ursprung kommt und dahinter ein ganz einfaches Prinzip steht, die sogenannten Naturgesetze, auch wenn wir sie noch nicht genau kennen, aber das ist doch etwas ziemlich einfaches, und darauf beruht die ganze Entwicklung der Welt, und ich bin natürlich dann, als ich über Kosmologie Veröffentlichungen gemacht hatte, öfters gefragt worden, wie denn der Mensch in dieses Bild hineinpaßt, und dann mußte ich halt Vorträge halten. Da fängt man mit dem Anfang der Welt an und soll dann bis zum Wirtschaftswunder oder sowas kommen – Frage: wie hängt das alles zusammen? Das Interesse an Kosmologie liegt ja genau daran, daß die Menschen... das interessiert die nicht, wie die Sterne funktionieren und die Milchstraßen, das ist nur am Rande; was sie wirklich interessiert, ist: ja, was ist denn unser
Platz in diesem Kosmos? Wo gehören wir denn da hin, und wie sind wir denn daraus geworden?
Wenn ich solche Vorträge halten mußte, habe ich selbstverständlich versuchen müssen, die alten Schöpfungsmythen auf etwas modernere Weise darzustellen, um
unseren
Platz in der Welt zu finden. Da sehen Sie, da kommen Sie natürlich automatisch auf die aktuellen politischen, gesellschaftlichen, geistigen Fragen, denn der Mensch ist nun mal in dieser Situation, wo ihn hauptsächlich das interessieren muß. Aber ganz aktuell fing ich an zu schreiben über diese Fragen, als ich einmal gebeten wurde, einen Aufsatz zu schreiben für ein englisches Buch, das hieß
The Ecyclopaedia Of Ignorance, mit Beiträgen von Leuten aus verschiedenen Wissenschaftsbereichen, die über etwas schrieben, worüber man bisher nur spekulieren konnte und noch nichts wußte. Da wurde ich gefragt zu schreiben über die Zukunft des Universums. Naja, klar, wenn Sie da anfangen beim Urknall, bis hierher, dann sehen Sie auf einmal, es ist alles immer komplexer, immer raffinierter und immer schneller geworden, die Vorgänge, die da abgelaufen sind. Und wenn sie die ganze Schöpfungsperiode, die „sieben Tage“, zusammendrängen auf ein Jahr, dann sehen Sie, in den ersten Sekundenbruchteilen dieses Jahres entsteht die Materie und im Januar sind schon alle Galaxien da und die Sterne, und Mitte August wird unsere Sonne geboren und die Erde dazu und die Planeten, am 25. Dezember wird das warme Blut erfunden und in der Nacht zum 31. spaltet sich die Linie von den Primaten ab, die zum Menschen geführt hat, und eine Viertelstunde vor Mitternacht (Neujahr) beginnt die überlieferte Geschichte und 4 Sekunden vor Mitternacht ist Jesus, und mein Leben ist eine Zehntelsekunde in diesem Bild, und da sehen Sie diese Beschleunigung des Schöpfungsprozesses.
Und damals ist es mir dann so gegangen, daß ich sofort gespürt hab: mein Gott, das nächste Jahr
in diesem Bild interessiert mich nicht, das wäre nun wirklich unbescheiden, darüber schreiben zu wollen – jetzt laß mich doch nachdenken, was die nächste Zehntelsekunde bringen wird. Und dann wollten die Leute das nicht veröffentlichen, die wollten dann nur die ersten zwei Drittel von dem Aufsatz veröffentlichen, weil das war halt das Übliche. Und daß man aber jetzt anfängt zu sagen: nein, mich interessiert die Zukunft des Universums nicht, denn ich bin zuständig dafür, daß es hier überhaupt weitergeht... gut, dann hab ich es zurückgezogen. Und da hab ich es sozusagen zum ersten Mal so richtig gespürt, was eigentlich mein Thema ist, und hab dann seit damals, das ist über zwanzig Jahre her, fast ein Vierteljahrhundert, zunehmend über andere Fragen nachgedacht und mich immer mehr von der Astrophysik abgewandt, was natürlich ein bißchen unfair war gegenüber meinem Institut, aber nachdem ich dort auch immer noch ein bißchen was getan habe hat man mich weiterleben lassen dort.
M. LANGER: Jetzt sind Sie – beschleunigt – mir schon fast davongelaufen, denn die Themen, die Sie jetzt ansprechen, eröffnen ein großes, weites Feld. Ich möchte nochmal zurück zu Ihrer Position in dieser Welt. Wie hat es denn bei Ihnen angefangen, daß Sie überhaupt zu den Naturwissenschaften gekommen sind? Gab es da Ursachen in der Familie? Hatten Sie als Pubertierender schon Vorlieben dafür, eine Dampfmaschine zu bauen, oder wie kam das?
P. KAFKA: Nein, nein, um Gottes Willen, das tu ich ja auch heute nicht. Ich kann auch heute nicht sehr gut Dinge reparieren. Ich hab aber natürlich schon als kleines Kind angefangen, über alles nachzudenken, weil ich bin ja '33 geboren, bin also sehr schnell damit konfroniert worden, daß alle Erwachsenen verrückt waren, alle meine Lehrer; die Eltern waren zwar nicht verrückt, aber sie hatten auch ihre Schwierigkeiten und konnten vor allem keinen Platz finden in dieser Welt, weil sie stark unterdrückt wurden und rausgestoßen. Aber ich hab eben damals gespürt, daß alles das, was ich hörte und las, nicht stimmte, daß die Welt voller Lügen war ringsherum, nicht nur aus dem Radio sondern auch aus den Zeitungen und aus den Schulbüchern und überall. Und da hab ich natürlich angefangen nachzudenken, was denn eigentlich los ist. Ich hatte das Glück, einen Großvater gehabt zu haben, der mich sehr früh beeinflußt hat, weil er auch so eine Art hatte, alles nachzufragen und nichts zu glauben, und mein Vater war zwar sehr still und hat das nicht so laut gesagt, aber ausgestrahlt hat er diese Suche auch. Und dadurch hab ich von kleinauf mich immer für alles zuständig fühlen müssen, weil alles, was mir erzählt wurde, stimmte ja nicht.
Beim Abitur war mir immer noch nicht klar, was ich studiere, es hat mich alles interessiert. Und dann ist es mir aber so ähnlich gegangen wie das auch Carl Friedrich von Weizsäcker von sich berichtet, daß er also auch nicht wußte, was er denn will, weil ihn alles interessierte, und dann hat Heisenberg ihm gesagt als jungem Mann, als ganz jungem Mann: ja, wenn du überhaupt weiterkommen willst im Denken, dann mußt du doch erst mal das einfachste verstanden haben, und das ist nun mal die Physik, nämlich wie funktioniert denn überhaupt die sichtbare, materielle Welt, und was ist denn das überhaupt: Raum und Zeit und Materie? Und diese Frage, die hat mich dann eben genauso beschäftigt, daß ich mir dann gesagt habe: ja wie soll ich denn über die geistigen Probleme und über die ethischen Fragen nachdenken, wenn ich nicht mal weiß, wie die Materie funktioniert – und deshalb hab ich angefangen, Physik zu studieren. Ich hatte dafür keine übermäßige Begabung, und es hat dann nach einiger Zeit auch angefangen mich zu langweilen.
Allerdings kamen da auch große persönliche Krisen hinzu, gesundheitliche und seelische Krisen, ich bin, wie die meisten jungen Menschen, die ein bißchen sensibler sind, nicht fertig geworden mit der Frage der Sexualität und der Beziehung von Menschen, und hab also wirklich sehr gelitten in meinen jungen Jahren, und hab dann mein Studium abgebrochen, als ich eine Diplomarbeit angeboten kriegte, und hab stattdessen fünf Jahre lang sozusagen nichts getan, halt nur meinen Lebensunterhalt verdient in irgendwelchen Erziehungseinrichtungen, hatte dann auch noch ein nicht-eheliches Kind, das ich unterhalten mußte; hab also einfach so um mich geschaut und eben ein bißchen was gemacht und mich ein bißchen erholt von meinen verschiedenen Leiden, und erst später hab ich dann, als ich mehr Geld brauchte, weil ich geheiratet habe... dann wurde eben klar: mehr Geld brauche ich auf jeden Fall, also einen anständigen Beruf muß ich doch ergreifen; dann hab ich rumgeschaut, was ich denn studieren könnte, die Physik wollte ich gar nicht mehr studieren, und dann hab ich gesehen – ich bin herumgereist bei Universitäten und habe mit Assistenten und Professoren gesprochen – und hab gesehen, daß eigentlich alles das, was da in Frage kam, von der Psychologie bis zu Indogermanistik und irgendwas – mich interessierte halt alles immer noch, oder Philosophie – und ich hab gesehen, das war alles eigentlich doch... nein, die Universität konnte mir da nicht wirklich viel bieten, dann habe ich gesagt: laß mich schnell die Physik fertig studieren.
Und da passierte, das war ein glücklicher Zufall, daß gerade in der Zeit, als ich dann mein Physik-Diplom machte, und der Professor Schlüter, der damals Direktor des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik geworden war, der war interessiert an allgemeiner Relativitätstheorie, obwohl das überhaupt nicht sein Fachgebiet war. Dann gab er mir eine Diplomarbeit in dem Bereich, und da hatte ich zwei Jahre lang schwer zu arbeiten, mich einzuarbeiten in Allgemeine Relativitätstheorie und Gravitationstheorie. Und gerade zu dieser Zeit wurde bemerkt, daß das auch in der Astrophysik eine wesentliche Rolle spielen würde, weil man die Quasare entdeckt hatte, dann, kurz darauf, auch die Neutronensterne und so, wo man eben merkte: die Schwerkraft spielt eben doch, obwohl sie so schwach ist im Vergleich zu den anderen Kräften, eine wesentliche Rolle in der Welt und vor allem in der Kosmologie auch, und deshalb gelang es mir ganz leicht, ohne Schwierigkeiten in dieses Max-Planck-Institut für Astrophysik reinzurutschen; ich hab halt gesagt: brauchen Sie jemanden, der sich mit relativistischer Astrophysik beschäftigte? Und seitdem bin ich dort – gewesen. Jetzt bin ich nicht mehr dort.
M. LANGER: Nicht um uns zu erholen von dieser Rede, sondern weil uns interessiert, welche Musik Sie interessiert, wollen wir zum Johann Sebastian Bach
kommen,
Contrapunctus 13 b
aus der
Kunst der Fuge;
wir hören – ausgewählt von unserem Gast Peter Kafka – Johann Sebastian Bach, gespielt vom
Berliner Saxophonquartett.